BETTER LIFE / Tages Anzeiger von 10.11.2015
"Die Suche nach dem alten Leben" von Denise Marquard
Im Fotoband «Better Life» blicken ein bekannter Fotograf und ein Schriftsteller auf ihre Jugend in Ex-Jugoslawien zurück und vergleichen mit der heutigen Realität.
«Alles wird besser», lautete ein weit verbreiteter Spruch. Auch im Jugoslawien von Josip Broz Tito war er sehr beliebt. Dennoch ist der Vielvölkerstaat vor 20 Jahren zerbrochen. Der Fotograf Goran Potkonjak aus Zürich und der Schriftsteller Miljenko Jergovic aus Zagreb sind in Jugoslawien aufgewachsen. In der Publikation «Better Life» gehen sie der Frage nach, was aus diesem Versprechen geworden ist.
In Zürich ist der 1968 in Gospić geborene Goran Potkonjak kein Unbekannter. Der Mittvierziger ist im wahrsten Sinne des Wortes Balkan-Botschafter ohne offizielles Mandat. Wenn es darum geht, Worldmusic und Jazz aus dieser Gegend hierherzubringen, steckt meist Potkonjak dahinter. Er ist Initiant von «Balkankaravan», einer Reihe im Moods, wo er seine heimatlichen Klänge der Diaspora oder den Schweizern näherbringt. Hauptberuflich ist er Fotograf, mit Spezialisierung auf Architektur.
Ein neuer Blick
Den Anstoss zu «Better Life» gab ein Ereignis in Basel. Bei einer Ausstellung bezeichnete eine Frau aus der ehemaligen DDR Potkonjaks Hochhausbilder aus Zagreb als «düster und depressiv». Das ärgerte ihn. Für ihn waren diese Häuser mit schönen Jugenderinnerungen verbunden. «Es war eine glückliche Zeit», sagt er. Doch die Kritik liess ihn nicht in Ruhe. Er reiste in seine Heimat, um die Städte seiner Jugend mit neuem Blick zu betrachten.
Dieser Blick bestätigte ihm, was er vorher schon wusste: «Die 20-stöckigen Neubausiedlungen aus den 70er- Jahren, die nach einem strengen sozialistischen Plan auf die grünen Wiesen vor Zagreb gebaut worden waren, gehören architektonisch zu den interessantesten jener Zeit.» Die Bauten aus der Neuzeit hingegen sehen für ihn wie überall aus.
Kenner der jugoslawischen Seele
Potkonjaks Fotos werden von Texten begleitet, die Miljenko Jergović verfasst hat. Er gehört zu den grossen europäischen Autoren der Gegenwart. Der 1966 in Sarajevo geborene Schriftsteller und politische Kolumnist ist einer der profundesten Kenner der jugoslawischen Seele. Was die beiden neben der Erinnerung an Titos Jugoslawien verbindet, ist der Krieg, der sie aus ihrem Land trieb.
Sarajevo, Ljubljana, Pristina, Zagreb, Beldgrad, Podgorica und Skopje werden von Jergović beschrieben und von Potkonjak fotografiert. Am meisten Mühe bereitet es den beiden, ihre Herkunftsstädte Zagreb und Sarajevo zu schildern. Bei den andern Porträts sind die Blickwinkel und die Standpunkte verschieden. Potkonjak verzichtet auf jeglichen Wiedererkennungseffekt. Er fotografiert aus Distanz, Menschen sind kaum zu sehen. Häuser stehen im Mittelpunkt. Hier wird der Architekturfotograf sichtbar, wie er den Transformationsprozess der einzelnen Länder festhält. In Skopje zeigt er das Millenniumskreuz, das im Nebel verschwindet. Potkonjaks Aufnahmen sind zum Teil irritierend, zum Teil sind es Metaphern, die sich nicht auf den ersten Blick erschliessen.
Jergović geht auf die Geschichte der Städte und Ländern ein, sehr persönlich, ja teilweise poetisch. Eine heikle Gratwanderung, die er brillant meistert.
Belgrad: Die Stadt verändert sich
Belgrad - düster und trist: Die Vergangenheit löst sich von der heruntergekommenen Hausfassade ab.
Der Verputz löst sich von der Fassade, und über dem mit Brettern abgesperrten Geschäft steht in roter Schrift auf weissem Grund: Jugolaboratorija. «Das Wort steht für mich stellvertretend für das Experiment Jugoslawien, das durch die verschiedenen Kriege zerstört worden ist», sagt der Fotograf Goran Potkonjak. Belgrad spiele in der Geschichte ein wichtige Rolle. Es war Hauptstadt des Königreichs Jugoslawien, des sozialistischen Jugoslawien sowie der Blockfreien. In den 90er-Jahren war es auch die Stadt, die ihre Panzer in die Bruderstaaten schickte, um zu expandieren und ethnisch zu säubern. Potkonjak fällt auf, dass in keiner andern Stadt so viele verschiedene Vertreter des ehemaligen Jugoslawien leben wie in Belgrad. Die Stadt habe sich verändert.
Pristina: Halb fertige Turbo-Architektur
Pristina: Es gibt unzählige Häuser mit unfertigen Stockwerken.
Welche Ironie der Geschichte. «Heute wird das Amselfeld, von dem die Serben sagen, dass es die Wiege ihrer Geschichte ist, von den Albanern bebaut», sagt Potkonjak. Es werde so viel gebaut, weil die Stadt nach dem Ende des Kosovokrieges mit einer Flut von zurückkehrenden Flüchtlingen zurechtkommen musste. Die Architektur habe sogar einen Namen: Turbo-Architektur, weil alles schnell gehen musste. Das Resultat dieser Entwicklung ist sichtbar, es gebe unzählige Häuser mit halb fertigen Stockwerken. Das ist typisch für die Bauweise dieser Region. Früher war das aber nicht anders. Für Potkonjak haben sich zwar die Häuser verändert, die Gesellschaft sei aber archaisch und steif geblieben. «So bilden heute die Albaner die Mehrheit, die meisten Serben wurden vertrieben.»
Sarajevo: Die Grenze spaltet die Stadt
Sarajevo: Die Stadt war ein Museum.
«The Museum is closed» – dieser Satz ist auch für Ausländer lesbar. Er drückt aus, was mit Sarajevos Kultur passiert ist. Der Zerfall von Jugoslawien bekam die bosnisch-herzegowinische Hauptstadt am ärgsten zu spüren. Drei Jahre lag sie unter Dauerbeschuss. Seither führe die innerbosnische Grenze mitten durch Sarajevo. Potkonjak: «Sie spaltet die Stadt in einen kroatisch-bosnischen Teil der Förderation Bosnien-Herzegowina, und einen serbischen Teil der Republika Srpska.» Die gesellschaftlichen Strukturen hindern laut Potkonjak das Land am Vorwärtskommen. Es stagniere. Bis zu den Bosnienkriegen war die Stadt das Symbol für das friedliche Zusammenleben von Bosniern, Serben und Kroaten, für ein Nebeneinander der Religionen, für eine gemeinsame Kultur. (mq)
Goran Potkonjak, Marc Kappeler: Better Life. Selbstverlag, 2015. 15 Fr. In der Buchhandlung Volkshaus erhältlich. ©Tages-Anzeiger